der Neptunbrunnen

... Stationen einer Irrfahrt.   Zurück in die Altstadt?

 

Viele kennen ihn als beliebten Orientierungs- und Treffpunkt im Stadtpark.

Manche wundern sich bei näherem Hinsehen wegen der ungewöhnlichen Pracht seiner reichen figurativen Ausführung.

Nur wenige wissen um seine groteske Geschichte.

Und kaum jemand weiß, dass der Neptunbrunnen eines der bedeu- tendsten Zeugnisse barocker Brunnenkunst in Europa ist.

 

 

Genaugenommen gibt es ihn zweimal, das 'Original' steht im Park von Schloss Peterhof bei St. Petersburg. Der Zweitguss (also ein zweites Originalstück, nicht etwa eine 'Kopie' wie so häufig kolportiert wird) steht im Stadtpark. Und da sind wir auch schon mitten in der höchst merkwürdigen Geschichte......

Der Neptunbrunnen entstand zwischen 1660 und 1669 als Auftragsarbeit des Nürnberger Rates  für den Hauptmarkt in der Werkstatt des Bildhauers Georg Schweigger, der ihn zusammen mit dem Goldschmied Christoph Ritter entwarf. Hieronymus Herold hat ihn dann in Bronze gegossen.  

Das Meisterwerk fand große Beachtung. Blainville schrieb seinerzeit: "Prächtigster Springbrunnen in ganz Teutschland".

Aus Geldgründen kam es dann mit der Fertigstellung aber nicht zur Aufstellung. Der verschmähte Schatz lagerte dann erst in Meister Schweiggers Werkstatt, später dann im Peunthof, dem heutigen Bauhof.

Nach fast 130 Jahren Einlagerung - die 'große Zeit' Nürnbergs war ja längst Vergangenheit und in der bereits im Niedergang befindlichen freien Reichsstadt hatte sich Misswirtschaft und Kleingeistigkeit ausgebreitet - beschließt der Rat den Brunnen zu verscherbeln. Für den Spottpreis von 66.000 Gulden - vermutlich einen Bruchteil der Herstellungskosten - wird er an den russischen Zarenhof verkauft; gewissermaßen ein Schnäppchen. Der neue Besitzer, Zar Paul I., lässt den prächtigen Barockbrunnen im Schlosspark seiner Sommerresidenz Peterhof aufstellen. (Andererseits wäre der zerlegte Brunnen wahrscheinlich auch nicht in Nürnberg geblieben. Vermutlich wäre er sonst knapp zehn Jahre später anlässlich des Anschlusses an Bayern, des Fürsten Montgelas' Kunstplünderer beim 'Ausräumen' Frankens in die Hände gefallen, sie hätten ihn im Auftrag der Wittelsbacher Könige requiriert und dann nach München geschafft.)

Jetzt war der Brunnen weg und geriet in Vergessenheit. Es vergingen gut hundert Jahre.

Vor 1900 - durch die industrielle Revolution war die Stadt wieder aufgestiegen und man erinnerte sich sich gerne wieder der großen Vergangenheit - dachte man auch wieder an den verlorenen imposanten Brunnen. Ein Rückkauf war natürlich unmöglich. Prof. Friedrich Wanderer, Ordinarius für Kunstgeschichte, gab den Anstoß für einen zweiten Guss des einst verschmähten Figurenbrunnens, der dann bestimmungsgemäß auf dem Hauptmarkt aufgestellt werden sollte. Nach Zustimmung des russischen Zaren für einen Zweitguss schickte der damalige (und auch ansonsten weitsichtige) Oberbürgermeister Georg von Schuh einen Gipsformer nach Peterhof, der dort die Vorlagen für neue Gussformen abformte. 

Die Kunstgießerei Lenz goss das zweite Exemplar des Neptun- brunnens. 

Am 22. Oktober 1902 schien es so, als hätte nun eine Groteske der Stadtgeschichte ein glückliches Ende gefunden: Im Südosten des Hauptmarktes - schräg gegen- über dem spätgotischen 'Schönen Brunnen' wurde der Neptun- brunnen  feierlich enthüllt.

Postkartenmotiv von 1905 (?)

Die finanziellen Mittel für den Zweitguss stellte der Hopfengroßhändler Ludwig von Gerngroß durch eine sehr großzügige Stiftung bereit. Die ausdrückliche Auflage des Stifters war, dass der Brunnen an dem ursprünglich geplanten Standort für das Original, dem Hauptmarkt, aufgestellt wird.

Nazi-Aufmarsch auf dem Hauptmarkt, vermutlich  gegen Ende der Weimarer Republik. Im Hintergrund die Frauenkirche und der Neptunbrunnen (von dem hier aber nur Neptun auf dem hohen Sockel zu sehen ist). Links (x) Hitler im Trenchcoat.

Das vermeintlich glückliche Ende der bis dahin schon reichlich seltsamen Geschichte währte aber nur gut dreieinhalb Jahr- zehnte. Inzwischen war es dunkel geworden über Deutschland. 1933 hatten die Nationalsozialisten ihre Diktatur errichtet, umgehend die Meinungsfreiheit abgeschafft und (Vorbote der späteren Verfolgung und Vernichtung) die jüdischen Mitbürger entrechtet.  Nürnberg wurde Propaganda- Kulisse der Reichsparteitage und  die menschenverachtenden 'Nürnberger Rassegesetze' wurden hier verkündet. 

 

Für den Barockbrunnen war auf dem 'Adolf-Hitler-Platz', wie der Hauptmarkt jetzt offiziell hieß, nun kein Platz mehr. Er war den Aufmärschen der Nationalsozialisten im Weg. Und das lebensfrohe 'carpe diem', des Barock wollte wohl auch nicht so recht zu dem passen worauf die Nazi-Propaganda die Menschen einstimmen wollte; das überschwängliche Lebensgefühl der Barockmenschen ließ sich halt schlecht für das nationalsozialistische Propagandaideal des entsagungsvollen und asketischen Kriegshelden vereinnahmen.

Der großzügige Spender Gerngroß, ein Nürnberger jüdischer Abstammung und Ehrenbürger  wurde aber auch ganz offen durch antisemitische Schmähreden beleidigt und postum lächerlich zu machen versucht. Dem Stifter fühlte man sich zu Dankbarkeit ohnehin nicht mehr verpflichtet, denn "das Geld, mit dem es der Jud bezahlte, ist aus dem deutschen Volk herausgewuchert worden", so in zeittypischer Demagogie der 'Frankenführer' Julius Streicher, Nürnbergs unsäglicher Gauleiter.

 Fotografie: Lala Aufsberg (1934)

Der ausdrücklichen Auflage des Mäzens Gerngroß wegen des Hauptmarktes fühlte man sich nicht mehr verpflichtet (und das ist offenbar auch bis heute so geblieben). 

An die (bis heute) letzten Tage des Neptunbrunnens auf dem Hauptmarkt erinnern noch die wunderschön expressiven Fotografien von Lala Aufsberg, die wenige Monate vor dem Abbau 1934 entstanden. 1937 wurde der demontierte Brunnen  dann auf dem heutigen Willy-Brand-Platz in der Marienvorstadt aufgestellt.

Dort überlebte der Neptunbrunnen - immerhin hatte er dort sogar noch sein barockes Brunnenbecken - dann relativ unbeschadet das Kriegsende. Anfang der 1960er war er dann den Verkehrsplanern der Zufahrt zum Zentralomnibusbahnhof im Weg. An die Rückversetzung auf den Hauptmarkt und eine Gelegenheit zur 'Wiedergutmachung' des Nazi-Unrechts dachte man aber nicht. Mit dreizehn Gegenstimmen im Stadtrat kam es zur zweiten Verbannung:

Der Brunnen wurde abgebaut und 1962 in veränderter Form im Stadtpark aufgestellt. So kam ein Architekturbrunnen, der von Anfang an für ein städtisches bebautes Umfeld konzipiert war ins Grüne. Grotesk: Da haben die Nürnberger ein Brunnen-Juwel, um das sie jede andere Stadt beneiden würde und was machen Sie? Sie verstecken es im 'Wald'. 

Die Figuren wurden etwas zusammengerückt. Die Mühe, die stilistisch passende Beckenfassung abzubauen und auch umzusetzen machte man sich gar nicht erst. Seitdem steht die Brunnenplastik beziehungslos und ziemlich verloren in einem kreisrunden Betonbecken mit der ästhetischen Anmutung eines überdimensionalen Suppentellers.

 

 Modell aus den 80er Jahren

1981- die Innenstadt-U-Bahn war gerade fertiggestellt - sollte der Brunnen zurück in die Altstadt. Allerdings nicht zurück auf den Hauptmarkt sondern auf den Jakobsplatz. Zwar wäre er so wieder in eine städtisch-urbane Umgebung gekommen  wo er unbedingt hingehört und er hätte sogar eine - allerdings stark verkleinerte und viel zu enge - barock anmutende Brunnen- schale 'zurück'-erhalten, aber die Platzwahl war nicht wirklich glücklich. Zwar stünde er hier besser als im Stadtpark, aber zu beengt und zu peripher. Und der heutigen Platznutzung wäre er eher im Wege. Mit denkbar knapper Mehrheit wurde der Vorschlag damals abgelehnt.

Dieses Schicksal blieb dem Kunstwerk also erst einmal erspart. Es folgten siebenundzwanzig weitere Jahre Dornröschenschlaf im Stadtpark.

2008 kam das Thema wieder auf die Tagesordnung des Kulturausschusses im Stadtrat und Stefan Grosse-Grollmann beantragte die 1981 gescheiterte Versetzung an den Jakobsplatz. Die Verwaltung reagierte schroff und trug ein wirres Sammelsurium von  zusammengeschaufelten Gegenargumenten von "zu teuer" (das hatten wir ja 1668 schon....) bis "passt nicht", weil Barock in Sichtweite zu Klassizismus und Gotik nicht stimmig sei (seltsam dass aber genau diese Mischung aus Jahrhunderten etwa den Reiz italienischer Städte ausmacht) vor, das bruchlos in die Tradition der gut dreihundert Jahre dieses Trauerspiels passt. Ich erinnerte in dieser Sitzung an die Geschichte des Brunnens, an die Auflage des Spenders (die bis heute in ungewollter aber sehr unguter Tradition mit Füssen getreten wird) und plädierte für die Wiederaufstellung am historisch und städtebaulich richtigen Ort: dem Hauptmarkt. Immerhin kam es dann zu einer interessanten Diskussion. Ein 'Nein' im Sinne der Verwaltung gab es nicht, es kam nicht zur Abstimmung. Das Thema bleibt offen.....

Wäre es nun nicht endlich an der Zeit für ein glückliches Ende der langen Odyssee?

 Piazza Navona in Rom, hier mit dem römischen Neptunbrunnen

 (von della Bitti)

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 Piazza Navona, nachts (hier der Vier-Flüsse-Brunnen von Bernini)

Der Neptunbrunnen ist doch auch eine ganz reale Chance für den Hauptmarkt, dessen nächtliche Öde und schwacher Ladenbesatz zunehmend beklagt wird. Wasser ist ein belebendes Element, es schafft Aufenthaltsqualität und zieht Menschen an. Der 'schöne Brunnen' ist zwar ein Wahrzeichen und den Platz prägende Skulptur, aber er ist kein Wasserspiel. Und ein Platz von der Größe des Hauptmarkts verträgt auch - wie schon von 1902 bis 1935 - zwei Brunnen. In deren grundsätzlicher Verschiedenheit läge doch sogar der besondere Reiz. Der abends beleuchtete Neptunbrunnen wäre doch eine enorme Aufwertung  des Platzes und der Innenstadt. Sozusagen unsere Piazza Navona.

Die unvergleichliche Atmosphäre dieses weltbekannten Platzes mitten in Rom, ein großer Tag und Nacht belebter Stadtraum mit sogar drei großen Brunnen (darunter übrigens auch eine Fontana del Nettuno), vergisst keiner der je dort war. Sommerabends wird er zum öffentlichen Wohnzimmer der Römer und ist ansonsten erklärter Lieblingsplatz aller Touristen... 

Ein Vorbild für den Hauptmarkt ? 

 Joachim C. Thiel

 28.07.2008

 

 

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